Ralf Bibiella

Audienz bei der Königin – eine imaginierte Begegnung

Der Königsweg, der Königin der Instrumente zu begegnen, ist, sie vor Ort im Raum ihrer Bestimmung zu hören, mit Ohren und Körper zu erspüren, wie sie alles um sich einnehmen und in Schwingung versetzen kann. Kein anderes Instrument geht mit dem Raum eine so untrennbare Symbiose ein wie die Orgel, die, vom ersten planenden Gedanken bis zum letzten, in den Raum hinein intonierten Pfeifenton, ein absolutes Einzelstück ist und ohne den Raumklang Entscheidendes ihrer musikalischen Persönlichkeit verliert. Im Ostchor der Katharinenkirche wohnt sie als große Hauptorgel auf der Orgelempore und entsendet ihre Klänge aus der Höhe, was ihre Begabung zur Transzendenz unterstützt. So heißt es auch oft überpersönlich: „Die Orgel spielt“, und der Spielende, das Instrument Bedienende, tritt in den Hintergrund. Beim Betreten der gotischen Basilika tritt das Sehen zurück, denn es dauert einige Zeit, bis sich die Augen an das diffuse, farbige und abgeblendete Licht der mittelalterlichen Glasfenster gewöhnt haben. Was zu hören ist, kann intensiver wahrgenommen werden. Sind dabei Orgelklänge im Raum, so können sie, im Raum umhergehend, in ihrer wechselnden Präsenz und Farbigkeit gehört werden und vermitteln Weitläufigkeit und Größe des Bauwerks. Der Orgelstandort drängt sich hierbei nicht gleich auf, doch ist die über acht Meter hohe Raumplastik des Orgelgehäuses mit seinen bis zu 6 Meter hohen sichtbaren Pfeifen bald ausgemacht. Grün ist die Hauptfarbe des Gehäuses, was zunächst befremden kann, als Komplementär zum reichlich sichtbaren Sandsteinrot aber harmonisch Zwiesprache hält. Auch die Proportion der großen Orgelarchitektur, immerhin die Größe eines dreietagigen Wohnhauses, folgt harmonischen Gesetzen: Der goldene Schnitt ist in allen Maßzahlen bestimmend und lässt den Gesamteindruck von unten betrachtet beinahe zierlich erscheinen. Dann zieht es uns hinauf, um das technische und musikalische Wunderwerk von Nahem zu betrachten.

Auf der Empore stehen wir mittig vor dem Spieltisch, der eigentlichen Schaltzentrale mit seinen klar angeordneten drei Manualen mit den vielen Tasten für das Spiel der Hände und dem Pedal für das Spiel der Füße. Rechts und links davon sieht man die Reihen mit den Registerzügen, mit denen die gewünschten Klangfarben wie Aromen aus einem großen Gewürzschrank ausgewählt werden beim Einregistrieren eines Musikstücks. Trotz der vielen Tasten, die zunächst an die Spielabläufe des Klavierspiels denken lassen, ist die Orgel von ihrer Klangerzeugung her ein Blasinstrument. Ihre musikalische Qualität wird daher entscheidend vom guten und richtigen Atem bestimmt, der von einer komplexen und weit verzweigten Gebläseanlage erzeugt wird: dem Orgelwind.
Die Windversorgung erfährt in der langen Entwicklungsgeschichte der Orgel immer wieder einschneidende Veränderungen und Neuerungen.
Hier sehen wir uns vor einer sinfonischen Orgel mit großen Anforderungen an einen vielfältig differenzierten und ausreichenden Orgelwind, denn die einzelnen Klangfarben sollen lebendig an- und absetzen. Doch muss der Wind auch stabil genug sein, um das Spiel bei sämtlichen gezogenen Registern mit allen Koppeln zu tragen. Hier steht zunächst ein großer Motor, einer Turbine ähnlich, außerhalb des Kirchenraumes im Turmraum in einem geschlossenen Balghaus, so dass in der Kirche keinerlei Motorgeräusche zu hören sind. Dieses große Gebläse kann bis zu 53 000 Litern Luft in der Minute bewegen. Diese Luft muss nun über ein System von Holzkanälen und Bälgen zu den Pfeifen in der nötigen Menge und dem richtigen Druck geführt werden. Dazu brauchen, wie beim Spielen eines Blasinstrumentes auch, tiefe Töne viel Luft aber niedrigeren Druck, hohe Töne weniger Luft aber höheren Druck. So stehen bei den Pfeifen eines jeden Manuals ein Balg für die Tiefe und einer für die Höhe. Auf den Bälgen sieht man rote, an ihrer Oberfläche versiegelte Ziegelsteine liegen, durch deren Gewicht der Druck mit der Gestaltung des erwarteten Klanges der Register genau einreguliert wird. Sie müssen also genau so auf den Bälgen liegen und dürfen sich auch bei steigender Luftfeuchtigkeit nicht mit Wasser aus der Luft vollsaugen, wodurch ja ihr Gewicht höher und der Druck größer würde.

Im Pedal mit den größten und tiefsten Pfeifen, die im Orgelgehäuse ganz hinten stehen, gibt es für die große erforderliche Luftmenge sogar drei Bälge, von denen einer besonders auffällt: Er ist ausschließlich für die zwölf tiefsten Töne zuständig.
Diese nehmen soviel Raum ein wie die Pfeifen eines kompletten Manualwerkes und klingen für das 32-Fuß-Register. Es reicht hinab bis zu etwa 16 Hertz und ist weniger vom Ohr hörbar als vielmehr mit dem ganzen Körper, aber auch am Vibrieren der Kirchenbänke, zu erspüren. Die Angabe in Fuß ist auf jedem Registerzug zu finden. Das noch heute gebräuchliche englische Längenmaß 1 Fuß ist knapp 30 cm lang, und unsere Fußangabe bezieht sich auf die tiefste Taste der Orgel, das große C. Spielt man diese mit dem 32’-Register, dann erklingt eine Pfeife, in der eine Luftsäule von 32’, also 9,60 Meter, zum Klingen kommt. Eine am oberen Ende mit einem Deckel geschlossene Pfeife gibt schon bei halber Länge diesen tiefen Grundton von sich. Dies hat zwei entscheidende Vorzüge: Die Pfeife nimmt nur etwa halb so viel Platz ein, auch die Materialkosten und mehr noch der Bearbeitungsaufwand gestalten sich erfreulich, und zudem spricht diese kürzere Pfeife schneller an. Da vom tiefsten Register der Orgel vor allem der Grundton erwartet wird, ist dies auch musikalisch eine willkommene Lösung.
Auf der anderen Seite des menschlichen Hörspektrums kann das 1’-Register nicht mehr von jedem vernommen werden, denn auf der höchsten Taste, hier einem a’’’, klingt es bei etwa 14000 Hertz und übersteigt damit noch die hohen sommerlichen Grillentöne.
Dazwischen finden sich mit Abstand die meisten Register im mittleren und am differenziertesten wahrzunehmenden Höhrspektrum in der 8’-Lage, die auch der notierten Tonhöhe und der weiblichen Gesangslage entspricht. Singen Frauen und Männer gemeinsam das gleiche Lied, so klingen die Männer eine Oktave tiefer, also im 16’, was die tiefste Lage jedes Manualklangs ist. Im Pedal finden sich die meisten 16’-Register. Sie unterscheiden sich in Funktion und Farbe und klingen oft nach den Orchesterinstrumenten, denen sie auch ihre Namen entliehen haben: Das Violon mit grobsamtigem und leicht sandigem Strich für rhythmisch klaren Tonansatz und lebendige Linienführung. Der gedeckte Subbass mit schneller grundtöniger Ansprache. Zurückhaltender der Gedecktbass, füllig aber und samtig einkleidend der Kontrabass und schließlich prominent im Prospekt sichtbar und transparent hörbar der Principal. Er ist schon dem Namen nach der Fürst und führt mit deutlicher Aussprache den Klang dieser Labialregister an.

Lippenpfeifen sind die uns aus dem Orgelprospekt, der sichtbaren Außenansicht der Orgel, bekannten Pfeifen, deren Klangfarbe und Tonhöhe durch die in ihnen schwingende Luftsäule entsteht. Die zweite Bauart der Orgelpfeifen sind die Zungenpfeifen, deren Ton in Höhe und Charakter zunächst durch ein schwingendes Metallblatt entsteht. Dieses Blatt schlägt in seiner schwingenden Länge, die dann die Tonhöhe bestimmt, auf einen Messing- oder Holzschaft auf, wodurch der Grundklang, wie beim Spielen auf einem Bläsermundstück, entsteht. Dieser wird dann durch einen den Klangcharakter entscheidend formenden Schallbecher veredelt. Hierdurch entstehen viele von Holz- und Blechblasinstrumenten bekannte Klänge: Oboe, Clarinette, Trompete, Posaune, Bombarde. Sie geben, wie im Orchester, dem Orgelklang Farbigkeit und Kraft. Aus der unterschiedlichen Tonentstehung bei Lippen- und Zungenregistern lässt sich auch eine entscheidende Voraussetzung für jeden Wohlklang verstehen: die Stimmung. Umgäbe die Orgel allzeit die gleiche Raumtemperatur, so müsste sie, einmal gestimmt, kaum mehr nachgestimmt werden. Mit Temperaturänderungen jedoch bewegen sich die beiden Pfeifenarten diametral auseinander: Bei kälterem Klima schwingt die Luftsäule in den Lippenpfeifen langsamer, der Ton wird tiefer. Die schwingenden Metallblätter der Zungenpfeifen jedoch werden im Kalten steifer und schwingen daher schneller, der Ton wird höher. Da die Zungenregister sich bei geringerer Beanspruchung des Materials leichter nachstimmen lassen, müssen Sie immer dazu herhalten.

Ein staunenswertes Faszinosum neben der umfangreichen Windversorgung ist die weitverzweigte und dennoch hochsubtil den ästhetischen und künstlerischen Willen übertragende Spielmechanik. Vom Spieltisch ausgehend muss durch sie in den hintersten Winkeln der ausgedehnten Klangmaschine zeitgleich die Tastenbewegung in eine Ventilbewegung übersetzt werden – bei machbarem Kraftaufwand und stimulierender Fühlbarkeit des spielerisch bewegten Klangs. So ist bei feiner mechanischer Traktur ausdrucksklar die An- und Absprache des Klangs, mithin das „Anschlagen“ und noch differenzierter das „Loslassen“ der Taste vernehmbar. Allein die hinter den Tasten sich ausbreitende Traktur und Koppelanlage erfordert das konzentrierte Arbeitsvolumen des darauf spezialisierten Orgelbaumeisters für ein Arbeitsjahr. Nebenbei sind die Anforderungen an das dabei verarbeitete feinjährige Fichtenholz aus Hochlagen mit den Wuchs stark retardierenden Wachstumsbedingungen enorm. Hörbar potenzieren lässt sich der Klang in seiner Macht und Vielfalt über die hoch entwickelte Koppelanlage. Hierdurch lassen sich die Klangfarben der einzelnen Manuale vereinen, und dies auch zum eine Oktave tiefer klingenden Registerfundus: Die 8’- Register klingen dann als 16’, die 4-füßigen als 8’ etc. Auf diese Weise ergibt sich ein großer Zugewinn an Klangreichtum und -kraft, der die Orgel hörbar über ihre zunächst klingende Dimension hinauswachsen lässt. Die einzelnen Werke, Pedal, Hauptwerk, Oberwerk oder Positiv, Récit oder Schwellwerk betrachtend, kommt jedem eine spezifische musikalische und instrumentenhistorisch gewachsene Aufgabe zu. Das Pedal vereint als eigentliches Bassklavier die tiefsten, erschütterndsten Klänge und kann zu aller Musik den sanften und tragenden Grund geben. Nur hier lassen sich über die Koppelanlage alle Klangfarben anspielen und vereinen. Die Bombarde 16’ kann dazu den gesamten Orgelklang dominieren, wie der im Fortissimo den Orchesterklang beherrschende Paukenwirbel. Von dieser dramatisch akzentuierenden Wirkung ausgehend kann das vielfarbige Timbre der Pedalregister Melodien jeder Lage hörbar machen.

Im Hauptwerk vereinen sich die großen Klänge des Prinzipalchores. Prinzipal 8’ ist hier die vielfältig beanspruchte Visitenkarte jeder Orgel. Eine ursprüngliche Funktion der Orgelmusik bestand in dem Anspruch, den nicht zur Verfügung stehenden Chor zu vertreten. Die dazu entstandenen Intabulierungen von Chormusik wurden mit dem sowohl über konsonantisch sprechenden Ansatz wie über vokalischen Klang verfügenden Prinzipal realisiert. An diesem sprechenden Chorklangideal muss er sich zunächst messen lassen, bevor er über die Oktavierungen: 16’, 4’,2’ bis hin zur Mixtur den als typisch erachteten Orgelklang hervorbringt. Die Mixtur lässt eine Mischung aus höher liegenden Quinten und Oktaven über dem angespielten Grundton hören und verstärkt den Klang mit Obertonenergie im hörsensiblen Frequenzbereich gegen 3000 Hertz. Bei gleichschwebender Stimmung decken sich die von der Mixtur oder ähnlichen Klangkronen eingebrachten Obertöne nicht mit den natürlichen der obertonreichen und farbigen Zungenregister wie Trompete 8’ oder 16’ des Hauptwerks. Das führt zu Spannungen im Klang. Bei ungleichschwebender Stimmung können wir in Tonarten mit wenigen Vorzeichen die Klarheit und Brillanz der Verschmelzung im Obertonzusammenklang erfahren, was dem Gesamtklang Reinheit, Harmonie und die an historischen Orgeln bei der passenden Literatur so geschätzte Strahlkraft verleiht. Trompete 16’ mit Mixtur, Zimbel oder Kornett kann so eine Spritzigkeit erlangen, die sonst vom Cembalo her vertraut ist. Die große Mixtur des Hauptwerks ist, dem gravitätischen Werkcharakter gemäß, auf den 16’ bezogen, während die entsprechenden Klänge im Positiv auf 8’ aufbauen.
So findet sich im Hauptwerk mit der Flûte harmonique die große Soloflöte, in der hohen Lage rauchig intensiv und überblasend von großer Leidenschaft. „Harmonique“ deutet auf die doppelte Länge der Pfeifen in der oberen Hälfte Ihres Tonumfangs hin. Wie bei der Querflöte wird bei höherem Anblasdruck in den 1. Oberton überblasen. Am ausdrucksvoll juchzenden Tonansatz lässt sich diese Einschwingeigenart gut erhören. Weitere dieser expressiven, in der hohen Lage sich brillant erhebenden Flöten finden sich als Chor im Schwellwerk. Dazu die herb-würzige Sologambe im Hauptwerk. Sie erreicht die Farbigkeit eines mittelstarken Zungenregisters und erregt durch porös aufgelöste Klangstruktur solistische Aufmerksamkeit. Als die Soloklänge der anderen Manuale begleitendes Grundregister fügt sich die Rohrflöte 8’ ins Hauptwerksensemble.

Das Positiv oder Oberwerk, hier auch schwellbar, bildet das räumliche und klangliche Gegenüber zum Hauptwerk und vereint in sich leichte, farbige und zur Continuobegleitung sowie für virtuose Passagen gedachte Stimmen. Seine hoch gelegene Position, dem Deckengewölbe nahe, bedingt eine direkte und im Raum vital anwesende Klangpräsenz. Dies wird durch die helle und schnell ansprechende Intonation des Prinzipal- und Flötenchores, aber auch durch die leichter sprechende und dadurch feuriger klingende Trompete 8’ erreicht. Hinzu kommen die auf 8’ bezogene helle Mixtur und das „Cornet decomposé“, die hier separat registrierbaren Klangkomponenten Gedeckt 8’, Flöte 4’, das näselnde Nasat 2 2/3’, die Oktave 2’ sowie der goldene Glanz der Terz 1 3/5’, die das Positiv zum ebenbürtigen Dialogpartner des Hauptwerks werden lassen. Mit Gedeckt 16’ zu Gravität und Größe gekommen, wird das Farbspektrum durch die auffällig ansprechende Clarinette, dem im 19. Jahrhundert fortentwickelten Krummhorn, der üppig und mit hornähnlicher Fülle auftretenden Doppelflöte sowie der Schwebestimme „Unda maris“ ergänzt. Im Verein mit Prinzipal 8’ erinnert ihr Klang an Meereswogen. Schon in der altitalienischen Orgel als „Voce umana“ beliebt, lässt sich dieser emotional bewegende Effekt auf deutschromantisch verträumtere Art mit dem entrückten Klang des „Salicional“ vernehmen. Er entspricht dem Prinzipalklang bei geschlossenem Schweller und kann so den Eindruck eines fortgesetzten, in die Ferne und Weite schweifenden Entschwindens ins Ätherische auslösen.

Dem in der Romantik sich Bahn brechenden Ringen um maximalen Ausdruck und große sinfonische Architektur folgend entwickelten sich im 19. Jahrhundert die expressiven Möglichkeiten des Schwellwerks. Ursprünglich gab es das für solistisch rezitativischen Vortrag gedachte Récit mit Trompete und Cornet. Dem gegenüber klang ein ähnlich besetztes, doch nur indirekt aus dem Unterbau zu hörendes Echo. Beide finden sich nun im dynamisch schwellbaren Werk wieder – als Récit bei geöffneten, als Echo bei geschlossenen Schwelltüren. Jedoch damit nicht genug, entwickelte sich von Spanien (Bosch) und Frankreich (Cavaillé-Coll) her die bis dahin ungeahnte dynamische Flexibilisierung des statischen Orgelklangs. Im sinfonischen Orchester erwuchs diese Möglichkeit vor allem durch die Fortentwicklung der Bläser, vor allem der weitmensurierten Hörner, Tuben und Posaunen. Wagner und Bruckner sind hierfür beispielhaft im Bewusstsein. Bei der Orgel entwickelte sich analog ein massiv klingender Chor von volltönenden Trompetenregistern, der auf der dunkel im Bass drohenden Bombarde 16’ basiert. Das scharf schmetternde, im Diskant zitronig würzende Clairon 4’ bildet dabei die Klangkrone. Ergänzt wird dieses mächtige Ensemble von der Oboe und einem in der Höhe leuchtend überblasenden Flötenchor. Doch ist auch über die fast kratzig streichende Gambe mit einer noch pfeffrigeren Fugara 4’ als Krone dieser Streichergruppe der Eindruck eines Sreichorchesters möglich. Es wird durch die orchestrale Mehrfachbesetzung assoziierende Schwebestimme Voix céleste vervollkommnet. Sie gibt dem Klang eine räumlich diffuse und darin neuartige Qualität, wodurch dissonante Klänge harmonisch verschmelzen und ein ideales Medium der Klangmystik schaffen. Den fragilen Solopart spielen die lebensnah sprechende Traversflöte und in besonderer Bildhaftigkeit die Vox humana, vornehmlich mit Tremulant, der den Orgelatem erbeben macht: In der Tiefe erinnert dieses kurzbechrige Zungenregister an brüchig greisenhaften Gesang, während es, bei zunehmender Höhe sich verjüngend, schließlich im Diskant an eine weinende Kinderstimme erinnert.
Die Fülle und Farbigkeit dieses Ausdruckswerkes verlangt nun nach einer hocheffektiven dynamischen Herrschaft: Dazu stehen die Pfeifen wie in einem geschlossenen Zimmer, bei dem sich die über 6 cm starken Wände nach drei Seiten hin über 50 Jalousien öffnen lassen. Die schwere, dem Klang widerstehende Masse mechanisch über einen Balanciertritt spielerisch leicht und musikalisch einfühlsam bedienbar zu machen, gehört zu den großen technischen Herausforderungen des Orgelbauerhandwerks. Sind die Türen geöffnet, so sollen die Pfeifen wie frei im Raum stehend klingen. Sind die Türen geschlossen und der Gesamtklang ist an die labialen Grundstimmen der 16‘ und 8’-Lage der anderen Werke gekoppelt, dann darf auch mit Bombarde 16’ die Anwesenheit rauer oder schmetternder Zungenstimmen nicht hörbar sein. Viele sinfonische Literatur lebt in ihrer Darstellung vom dramaturgischen Effekt dieses „Demi Grand Choeur“.

Solche klanglich-dynamische Variabilität gibt dem Orgelklang eine ausgeprägt räumliche Wirkung, denn das laute und leise Tönen lässt sich im weiten Kirchenraum auch als nah und fern empfinden – als kämen die Klänge von außerhalb. Die Oppenheimer Katharinenkirche mit ihrer besonderen räumlichen Situation erlaubt es, Positiv und Schwellwerk zum Schiff im Osten zu schließen und zum Hochchor im Westen zu öffnen. Dort tut sich ein ganz andersartiger Raumklang mit etwa doppelt so langer Nachhallzeit auf, der die vertrauten Klänge fremd und fern aufscheinen lässt.
So zeigt sich, dass in einem weitläufigen Raum der Orgelbauer sich für einen Ort entscheiden muss, an dem die Einzelklänge sowie der Gesamtklang optimale Präsenz, charakteristische Ansprache und Farbigkeit entfalten können. Von diesem Ort aus muss jede einzelne Pfeife intoniert, für die Klangerwartung an sie optimiert werden. Dieser Ort liegt hier im vorderen Viertel des Langhauses, von wo aus der sinfonisch in allen Farbnuancen verschmelzende Klang über ein dreiviertel Jahr erhört und an den Pfeifen erarbeitet wurde. Daraus, wie aus vielen der beschriebenen Details der Königin der Instrumente wird deutlich, welch enormer Arbeitsaufwand, verbunden mit persönlicher Erfahrung und anhaltender Leidenschaft, Grundlage dieses bewundernswerten Instrumentes sind.

Die Woehl Orgel mit 44 klingenden Registern auf drei Manualen und Pedal spielbar, hat folgende Disposition:

I. Manual

Principal  16
Bordun  16
Principal  8
Rohrflöte  8
Flûte harmonique  8
Gambe  8
0ctave  4
Gemshorn  4
Quinte  2 2/3
Octave  2
Cornett 4 – 6fach
Mixtur 4-5fach 2
Cimbel 3fach 1 1/3
Trompete  16
Trompette  8

Manual II, schwellbar

Gedeckt  16
Principal  8
Salicional  8

Unda maris  8
Doppelflöte  8
Gedeckt  8
Octave  4
Flöte  4

Nasard  2 2/3
Octave  2
Mixtur 5fach 2
Trompete  8
Clarinette  8
Tremulant

Manual III, Recit

Quintaton  16
Flûte traversière  8
Cor de nuit  8
Viole de Gambe  8
Voix céleste  8
Fugara  4
Flûte octaviante  4
Octavin  2
Bombarde  16
Trompette harmonique  8
Clairon harmonique  4
Basson Hautbois  8
Voix humaine  8
Tremulant

IV. Pedal zum Teil schwellbar*

Untersatz  32
Grand Bourdon 32
Kontrabass  16
Violon  16
Subbass  16
*Gedecktbass  16

Octavbass  8
Violoncello  8
*Bassflöte  8
Flöte  4
Posaune  16
Basstrompete  8
Bombarde  16
Trompette  8
Clairon  4

Koppeln


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l Bass Octavkoppel
lll-l Bass Octavkoppel
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lll-ll Bass Octavkoppel
lll Bass Octavkoppel
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ll-P
lll-P
lll-P Diskant Octavkoppel

zusätzliche Züge
Tritte

Walze an
klassischer Wind an
West Orgel an
Jalousietritt Fernwerk

Register von Walcker (1871)

Manualumfänge C-a3, Pedal C-f1
mechanische Spieltraktur, mechanische Koppeln
elektronische Registertraktur und Setzeranlage
symphonisches Windsystem, zweimal unterteilt innerhalb des Klaviaturbereichs je Werk, im Diskant stärkerer Wind,
melodiebetont, umschaltbar auf klassischen Wind
Register aus den Manualen 1 + 11 können zur differenzierteren klanglichen Abstufung auch im Pedal gespielt werden.
Das Instrument kann durch öffnen von Klappen auch für denWestchor gespielt werden.